Als Ende März auf dem EZB Gebäude in Frankfurt spätabends ein projiziertes Bitcoin Logo strahlte, waren die Mitarbeiter der Zentralbank schon lange im Bett. Sie verpassten einen besonderen Moment, der zwar keinen Einzug in die Mainstream-Medien fand, aber auf Twitter viral ging. Es war ein aufrüttelnder Moment. Aber keine Revolution. Die Pförtner bemerkten keine Eindringlinge. Niemand hatte das mächtige Metalltor gestürmt; es wurde nicht einmal beschädigt. Ein dezentes “Study Bitcoin“, von einer Crew um Bitman Bob, machte lediglich darauf aufmerksam, dass es neben FIAT noch ein anderes System gibt, das sich lohnt zu studieren.
Vor ein paar hundert Jahren wäre dieser Moment wahrscheinlich anders abgelaufen. Das Volk hätte die Münzprägeanstalt wahrscheinlich mit Mistgabeln gestürmt, weil es mitbekommen hätte, dass der Goldanteil der Münzen nicht mehr nachweisbar war und die Inflation in den Himmel stieg. Aber Bitcoin ist keine Revolution. Es ist vielmehr eine Cyberverfassung, die die Rechte der Bürger schützt – aber nur derer, die das System verstehen und sich freiwillig dafür entscheiden. Es ist eine kopernikanische Wende mit Opt-In Verfahren.
Die kopernikanische Wende
Das von Nikolaus Kopernikus postulierte heliozentrische Weltbild war im 16. Jahrhundert nicht nur ein wissenschaftlicher Paradigmenwechsel. Auch philosophisch stellte es die Welt auf den Kopf: Denn die geozentrische Weltanschauung hatte den Menschen ins Zentrum der Schöpfung gestellt und die Erde zum kosmischen Thron gemacht. Tatsächlich bewies Kopernikus 1543, dass es genau anders herum war. Bitcoin ist ebenfalls eine kopernikanische Wende. Denn im ökonomischen Bitcoin-Kosmos rückt nun das Individuum ins Zentrum. Im Mittelpunkt steht nicht mehr abstraktes Wirtschaftswachstum sondern die Möglichkeit, endlich zu sparen, wertvolle Privatsphäre oder einfach persönliche Freiheit und Autonomie.
Bitcoin ist aber mehr als eine technologische Erfindung. Vielmehr definiert es die planetaren Verhältnisse des menschlichen Universums, indem es jedem Menschen Zugang zu Geld unabhängig von Herkunft, politischer Gesinnung oder persönlicher Geschichte gewährt und festlegt, dass keine zentralisierte Institution jemals Transaktionen, Geldpolitik oder alle anderen zu Grunde liegenden Regeln zensieren oder ändern kann. Bitcoin wird damit zur ersten Cyberverfassung, die die Werte, Prinzipien und die Organisation des neuen Systems festhält – und exekutiert.
Revolutionen im digitalen Zeitalter
Bitcoin wird häufig als digitale oder friedliche Revolution bezeichnet. Dabei hat unser „Peer-to-Peer Cash System“ von 2009 mit Revolutionen so gar nichts gemeinsam. Denn Bitcoin will keine Politiker, Zentralbanker oder Finanzinstitute stürzen und auch keine Macht ergreifen. Bitcoin ist nur eine Technologie und eine immer größer werdende Alternative zu unseren herkömmlichen Geldsystemen. Wer nicht mitmachen will, wählt ein anderes System. Niemand muss Bitcoin nutzen. Aber immer mehr tun es eben.
Vielleicht hatte Satoshi Nakamoto verstanden, dass echte Revolutionen in einer global vernetzten Welt mit komplexen Machtstrukturen und digitaler Organisation kaum noch möglich sind. Beim Sturm auf die Bastille in Paris 1789 reichte ein Heer von ein paar hundert Leuten aus, um das symbolträchtige Gebäude einzunehmen und die Revolution auszurufen. Kurz darauf druckten die Revolutionäre ihre eigene Zeitung „L‘ami du peuple“ und die Kommunikation lief an. Revolutionäre der heutigen Zeit würden vor ganz anderen Problemen stehen. Zum Beispiel der Zugang zur Regierungsdomain oder die Passwörter zu den Social Media Kanälen.
Sturm auf die Federal Reserve oder die EZB?
Bitcoin war kein Sturm auf die Federal Reserve oder EZB, auch wenn bereits eine „Study Bitcoin“ Projektion das Gebäude der Zentralbank ausleuchtete. Bitcoin ist vielmehr organisch zunächst so langsam gewachsen, dass es mehr als zwei Jahre dauerte, bis Regierungen überhaupt Notiz nahmen. Im April 2011 wurde schließlich Gavin Andreesen zum CIA eingeladen, um Bitcoin zu erklären – kurz bevor Satoshi das Projekt verließ und ihn zum Nachfolger machte. Bitcoin war kein Umsturz und keine Revolution, auch wenn Satoshis berühmte Times Headline als Zeitstempel im Genesis Block 2009 – „Chancellor on Brink of Second Bailout for Banks“ – wie eine Kampfansage wirkte. Aber Bitcoin war lange Zeit einem kleinen Kreis von Anhängern im BitcoinTalk Forum vorbehalten.
Es gibt allerdings eine andere Parallele zu Revolutionen. Denn das „P2P Cash System“ ist nicht nur eine Technologie, sondern auch ein umfangreiches Regelwerk, das man als eine Art monetäre Verfassung begreifen muss. Und Verfassungen sind das typische Resultat von Revolutionen. So war die Verfassung der USA ein Ergebnis der amerikanischen Revolution. Die französische Verfassung war ihrerseits direkte Folge der Ausrufung der Republik in Frankreich. Revolutionen ziehen reformerische Neuordnung nach sich.
Kernideen einer modernen Verfassung
Der Kerngedanke einer modernen Verfassung im Zeitalter der Aufklärung war, zu bestimmen, wer Autorität und Macht besitzt, und zwar wie und für welchen Zweck. In demokratischen Systemen steht dabei der Bürger im Mittelpunkt. Nur für ihn bildet die Verfassung einen sozialen Vertrag und begrenzt damit die Macht der Regierung. Genau das ist die kopernikanische Wende der Aufklärung. Nicht mehr die monarchische Regierung steht im Mittelpunkt des Systems, sondern der Bürger, dessen Streben nach Wohl über die Verfassung definiert wird.
Bitcoin macht genau das. Denn es definiert die planetaren Verhältnisse des menschlichen Universums: Zum Beispiel, dass jeder Mensch Zugang zu Geld hat, unabhängig von Herkunft, politischer Gesinnung oder persönlicher Geschichte. Es definiert, dass es eine fest begrenzte Geldmenge gibt und ganz exakt auch, wie diese in der Zukunft herausgegeben wird. Und es legt fest, dass keine zentralisierte Institution jemals Transaktionen, Geldpolitik oder alle anderen zu Grunde liegenden Regeln zensieren oder ändern kann.
Mises: Geld als Verfassungsaufgabe
Geldsysteme und Geldpolitik sind heute kein Teil unserer politischen Verfassungen. Allerdings wird schon Jahrhunderte darüber debattiert, weil man schon immer um die Relevanz weiß. So haben schon Sir William Petty oder John Locke im 17. Jahrhundert gefordert, dass Geldpolitik verbindlich festgelegt werden solle. Auch Ludwig von Mises ordnete 1912 (gesundes) Geld als konstitutionelles Thema ein, weil es im Kern bürgerliche Freiheiten schützt: “Ideologically it belongs in the same class with political constitutions and bills of rights. The demand for constitutional guarantees and for bills of rights was a reaction against arbitrary rule and the nonobservance of old customs by kings.“
Verfassungen sind im Prinzip Meta-Gesetze, die den Rahmen und Prinzipien für politische Organisation festlegen. Interessanterweise ist Bitcoin aber weitaus mehr. Als erste Cyber-Verfassung sind die Regeln festgelegt, aber werden auch automatisch exekutiert. Regelbrüche sind kein Thema, da sie technisch nicht möglich sind. Bitcoin stellt also nicht nur Gesetze auf, sondern sorgt auch für deren Einhaltung – „code is law“. Erstmalig in der Geschichte der Menschheit gibt es also eine Geldpolitik, die unveränderlich ist.
Die menschliche Natur kontrollieren
Über die gesetzliche Festlegung der Geldpolitik wurde schon 1962 in einem Sammelband mit dem Titel „Monetary Constitutionalism“ debattiert, unter anderem mit Beiträgen von Murray Rothbard, der einen 100% Gold-gedeckten Dollar fordert. Das Problem der Geldpolitik vor Bitcoin war allerdings die Tatsache, dass es kein selbst-reguliertes System gab. Der Herausgeber merkte daher kritisch an, dass eine solche Kontrolle über das Geldsystem nur in einem praktisch totalitären Staat gewährleistet werden könne. Was zum damaligen Zeitpunkt zweifellos richtig war.
Das Ziel einer jeden Verfassung und im Prinzip auch das Ziel von Bitcoin ist letztlich die Kontrolle und das in Schach halten der menschlichen Natur. Es ist die Erkenntnis, dass man menschlichen Organisationen und dem menschlichen Charakter eine große Portion Misstrauen gegenüberbringen muss. Gerade in Bezug auf Geld weiß man aus tausenden Jahren Geschichte: Wenn es die Möglichkeit gibt, Geld zu drucken oder dessen Qualität zu verwässern, dann wird es geschehen.
Als der schottische Philosoph David Hume 1635 “A Treatise on Human Nature” (Abhandlung über die menschliche Natur) schrieb, stellte er klar, dass das menschliche Verhalten nicht von Vernunft, sondern von Leidenschaften gesteuert sei – vor allem von Gier. Auch die Architekten der amerikanischen Verfassung wollten der menschlichen Natur in ihrer Verfassung gerecht werden. Die daraus resultierenden „checks and balances“, also die Gewaltenteilung der politischen Kräfte, basieren genau darauf. So erinnerte zum Beispiel Alexander Hamilton daran, “nicht zu vergessen, dass Menschen ehrgeizig, rachsüchtig und habgierig sind”.
Die unveränderbare Cyberverfassung
Wenn Verfassungen moderner Gesellschaften das Recht des Bürgers gegenüber den politischen Institutionen schützen, dann gibt es immer einen Interpretationsspielraum, der sich an die jeweilige Zeit anpasst. Als Cyberverfassung ist Bitcoin anders und einmalig. Es schützt auf fundamentale Art und Weise das Individuum und seinen ökonomischen Handlungsraum. Satoshis kopernikanische Wende ist die Neuordnung des Geldsystems. Denn das dreht sich seit Bitcoin nicht mehr um Staaten, sondern um das Individuum. Die unabänderliche Cyberverfassung hat das in Stein gemeißelt – zumindest für jeden, der Bitcoin nutzt.